Was ist das Clubhouse eigentlich?

Seit wenigen Tagen ist die neue Social-Media-App Clubhouse auch in Deutschland angekommen und hat einen regelrechten Hype ausgelöst. Aber was ist diese neue App eigentlich, die so ganz anders daherkommt als Facebook, Instagram oder Twitter?

„Clubhouse ist doch wie die re:publica!“ – mit Doro Bär auf dem Podium

Clubhouse ist ein wenig von allem – aber vor allen Dingen etwas ganz Neues. Es ist keine klassische Social-Media-App. Hier steht das Synchrone, der Live-Talk im Mittelpunkt. „Clubhouse ist doch wie die re:publica!“, hat deshalb eine Freundin als erste Assoziation gesagt. Tatsächlich ist Clubhouse eine Event-App: Mal gibt es Talks mit prominenten Personen (heute war auch Doro Bär gleich mit dabei) wie auf der Mainstage der re:publica in Berlin. Dann auch wieder nischigere Businessthemen wie „Authentizität im Influencer Marketing“, „FinTech Stammtisch Berlin“ oder „So sammelst du als Start-up erfolgreich Geld ein“. Hinzu kommt die Möglichkeit, wie bei der re:publica auch zwischen zwei Events hin- und herzuspringen – und dazwischen sich mal in einer kleinen Gruppe oder 1:1 zu treffen und auszutauschen. Einziger Unterschied: Jeder darf seine Themen als Event anlegen; es gibt keine Kommission, die ein Programm kuratiert.

Screenshot aus dem Clubhouse mit Staatsministerin Doro Bär
Wer diskutiert im Clubhouse natürlich sofort mit? Staatsministerin Doro Bär probierte das neue soziale Netzwerk gleich selbst aus.

„Clubhouse ist wie ein Radio, in dem alle mitreden können“

Einer der Ersten, mit dem ich heute im Gespräch war, hat gesagt: „Ich habe ja zunächst einen Chat vermisst. Aber dann dachte ich mir: Den braucht es gar nicht.“ Clubhouse folgt dem Podcast-Boom und setzt komplett auf Audio. In den Diskussionen kann sich jeder zu Wort melden, muss aber vom Moderator aufgerufen werden. Deshalb sagte eine Freundin: „Clubhoue ist wie ein Radio, in dem alle mitreden können.“ Wie „Mensch, Otto“ mit Moderator Thorsten Otto auf Bayern1 könnte man sagen. Nur dass es eben nicht nur einen Gast gibt, sondern jeder kann etwas beitragen, wenn er zu dem Thema etwas zu sagen hat. Oder man kann eben einfach nur zuhören.

„Clubhouse löst ja sogar Tinder ab“

Auf den ersten Blick bin ich vor allem auf Business-Themen gestoßen, die (wie oben beschrieben) auch auf der re:publica genauso im Programm stehen könnten. Clubhouse ist aber weit mehr: Freizeit, Sport, Work-Life-Balance, guter Wein oder die „First Clubhouse Stand up Comedy Show“ gehören genauso dazu. „Clubhouse löst ja sogar Tinder ab“, findet eine Freundin, die einen Flirt-Channel entdeckt hat.

Und was ist Clubhouse noch alles?

Clubhouse ist natürlich auch ein soziales Netzwerk. Ich habe fast alle Freunde aus Facebook, Twitter und LinkedIn gleich wieder getroffen. Mit denjenigen, die ich in Talks neu kennengelernt habe, habe ich allerdings mich meist verabredet, dass wir uns auf LinkedIn & Co. auch noch vernetzen, um in Kontakt zu bleiben. „Hier ist es noch zu unübersichtlich“, hat eine neue Bekannte in einem Event beispielsweise gesagt.

Das Clubhouse ist auch eine Art Live-Podcast. Brandaktuell kann man auf Themen eingehen. „Was mit Medien“ von Daniel Fiene habe ich auch sofort entdeckt.

Was ist das Clubhouse aber nicht?

Bis auf das eigene Profilbild lädt man keine Fotos hoch. Es ist also so ziemlich das Gegenteil von Instagram. „Puh, ich dachte schon, jetzt geht gleich die Cam an“, hat ein Newby im Clubhouse gesagt, um zu ergänzen: „Ich fand das mal richtig wohltuend, dass es nicht – wie diese ganzen beruflichen Dinge – mit Kamera funktioniert.“ Eine weitere Teilnehmerin stimmte zu: „Ich bin gerade spazieren und kann es nutzen. Ich finde es auch super, dass es ohne Cam geht.“

tl;dr – oder doch nicht?

Am liebsten würde ich ihm jedes Mal tl;dr zurückschreiben, einem Geschäftspartner, der in jeder seiner Mails ewig ausholt, nie zum Punkt kommt und man nach dem Lesen erst noch einmal mühsam nachschauen muss, was überhaupt sein konkretes Anliegen war. tl;dr – das Motto der re:publica 2019 in Berlin – würde ich ihm gerne zurückschreiben. too long, didn’t read. Bitte in der digitalen Kommunikation auf den Punkt kommen! Videos im Netz sind keine 1:30 mehr wie Fernsehbeiträge, Feature haben keine 180 Zeilen mehr wie im Print und die Whats App ist der neue Brief. tl;dr – eigentlich logisch und unproblematisch. Oder doch nicht?

tl;dr ist das Motto der re:publica 2019.

Es gibt durchaus einen Gegentrend. „Slow Journalism“ wird dieser manchmal genannt, angelehnt an „Slow Food“: User wollen Hintergrundinformationen, sind bereit, auch längere Stücke zu lesen, Dokumentationen anzuschauen und nutzen Multimedia-Storys. Die Print-Branche setzt bewusst auf lange Stücke: die Süddeutsche Zeitung hat vor geraumer Zeit ihre Wochenendausgabe umgekrempelt, die Wochenzeitung Zeit floriert weiterhin. Gut recherchierter, gut reflektierter, gut argumentierender Journalismus hat sich auch im tl;dr-Zeitalter etabliert.

Das Motto der re:publica sollte also kein Grund sein, auf Häppchen-Journalismus umzusteigen. Doch auch im Printjournalismus galt schon immer: Jeder Text muss hinterfragt werden, ob er Redundanzen aufweist. Auch im Vor-Digital-Zeitalter galt es, mit der Zeit der Leser sorgfältig umzugehen. Also auch hier galt: Texte sollten nur so lange sein wie nötig. Aber wenn längere Texte nötig sind, um Hintergründe zu skizzieren und Zusammenhänge aufzuzeigen, dann sollte man sich den Platz dafür nehmen. Das ist heute sogar eine der zentralen Aufgaben des Journalismus, der kein Gatekeeper mehr ist (jeder kann heute im Social Web publizieren und sich eine eigenen kleinen Verlag aufbauen), sondern zum Erklärer wird. tl;dr darf also nicht zu Lasten des Qualitätsjournalismus gehen – vor allem in einer Zeit, in der aus dem Zusammenhang gerissene Zitate oder Fakten auf Facebook & Co. stark zur Meinungsbildung beitragen. Mal sehen, ob diese Perspektive vom 6. bis 8. Mai in Berlin auch zur Sprache kommt.

Auf der re:publica werde ich mich aber auf jeden Fall an tl;dr halten und nur ganz kurze Beiträge via Facebook, Twitter und Instagram mit dem absolut Wesentlichen posten.